…wie Wind und Weite…

Foto: Johanna “krteček” Mixsa

Gedanken zum Lied „Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer“ und zu Psalm 31

von Andreas Witt

Gras, Ufer, Wind und Weite: Das Lied „Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer“ entführt in die Natur – und vergleicht Gottes Liebe mit der Weite und Unendlichkeit des Meeres. Ein Strandspaziergang, bei dem der frische Wind um die Nase weht, befreit. Beim Blick über das sich im Wind sanft wiegende Gras am Ufer auf das weite Meer hinaus sind die Gedanken frei. Frei zum Abschweifen und Träumen! Frei, um die Schönheit der Natur wahrzunehmen und sich als Teil von Gottes Schöpfung zu fühlen. Manche Menschen sagen, dass sie sich in der Natur Gott ganz nahe fühlen. Spirituelle Naturerfahrungen, die uns Pfadis wohl vertraut sind.

Das Lied „Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer“ stammt aus Schweden. Der Liedtext malt ein Bild einer schwedischen Schärenlandschaft als Gleichnis für die allumfassende Liebe Gottes und kleidet dabei die spirituellen Naturerfahrungen in Worte. So heißt es im Titel gebenden Refrain, dass Gottes Liebe „wie Gras und Ufer, wie Wind und Weite und wie ein Zuhaus“ sei. Doch wie passt das heimelige „Zuhaus“ in dieses Bild von Meer und Weite? Ist dies nicht ein Widerspruch bzw. Gegensatz? Wie passen „Weite“ und „Zuhaus“ zusammen?

Ich verstehe diesen Gedanken so: Gott schenkt uns Menschen in seiner allumfassenden, weiten Liebe eine große Freiheit. Im Lied heißt es in der 1. Strophe: „Frei sind wir da zu wohnen und zu gehen. Frei sind wir ja zu sagen oder nein.“ Auch in der 2. Strophe geht es um die Freiheit: „Wir wollen Freiheit, um uns selbst zu finden, Freiheit aus der man etwas machen kann, Freiheit, die auch noch offen ist für Träume …“ Mich erinnern diese Textzeilen an das Psalmwort: „Du stellst meine Füße auf
weiten Raum“ (Psalm 31.9).

Aber wie wird diese Weite und Freiheit zu einem Zuhaus? Und wie gehen wir Menschen mit der Freiheit und Weite um? In der 3. Strophe heißt es: „Und dennoch sind das Mauern zwischen Menschen, und nur durch Gitter sehen wir uns an. Unser versklavtes Ich ist ein Gefängnis und ist gebaut aus Steinen unsrer Angst.“

Auch im Psalm 31 ist vom Gefangensein in der eigenen Angst die Rede. Hier heißt es (Psalm 31.10-11): „Herr sei mir gnädig, denn mir ist Angst! Mein Auge ist trübe geworden vor Gram, matt meine Seele und mein Leib. Meine Kraft ist verfallen durch meine Missetat, und meine Gebeine sind verschmachtet.“

Doch etwas später formuliert der Psalmbeter voller Hoffnung: „Ich aber, Herr, hoffe auf dich und spreche: Du bist mein Gott! Meine Zeit steht in deinen Händen! (…) Lass leuchten dein Antlitz über deinen Knecht; hilf mir durch deine Güte! (…) Wie groß ist deine Güte, Herr, die du bewahrt hast denen, die dich fürchten, und erweisest vor den Leuten denen, die auf dich trauen!“ (Psalm 31, 15-16a, 17 und 20).

Im Vertrauen auf Gott fühlt der Psalmbeter sich erlöst und in der gnädigen Liebe Gottes geborgen. Im Lied „Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer“ heißt es in der 4. Strophe: „Herr, du bist Richter! Du nur kannst befreien, wenn du uns freisprichst, dann ist Freiheit da.“ Und genau diese von Gott uns zu gesprochene Freiheit ist dann wie ein Zuhaus. Denn im Vertrauen auf die Gnade und Barmherzigkeit Gottes dürfen wir Menschen – in all unsrer Freiheit – uns von Gott geliebt und in dieser gütigen Liebe geborgen fühlen. So wie uns am Strand beim Blick über die sich im Wind wiegenden Gräser auf die Weite des Meeres eine spirituelle Ergriffenheit überkommen kann: Ein Gefühl von großer Freiheit im Anblick der Weite des Meeres und ein Gefühl der Nähe, Geborgenheit und Verbundenheit mit Gott als Teil seiner geliebten Schöpfung.


Zur Geschichte des Liedes „Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer“

1965 verfasste Christa Weiß für den Deutschen evangelischen Kirchentag den Text des Liedes „Die ganze Welt hast Du uns überlassen“. Ein Lied über christliche Freiheit mit einer blues-artigen Melodie von Hans-Rudolf Simoneit. Inspiriert von diesem Lied verfasste der schwedische Pfarrer und Dichter Dieter Anders Frostenson den Liedtext “Guds kärlekär som stranden och som gräset“ (= Gottes Liebe ist wie der Strand und das Gras), dervon Lars Åke Lundberg neu vertont wurde. Das Lied wurde schnell populär und in viele Sprachen übersetzt.

1970 übersetzte Ernst Hansen aus Schleswig-Holstein das Lied mit den Worten „Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer“ ins Deutsche.Wegen der Verwendung des Wortes „Rasse“in einer Textzeile der 4. Strophe des Liedes empfiehlt die EKD, diese Liedzeile nicht unüberlegt zu singen. Ernst Hansen hat 1970 den Begriff „Rasse“ aus dem schwedischen Original übernommen.

Übrigens findet sich im Gesangbuch nocheine zweite Übersetzung des schwedischenTextes von Markus Jenny: „Weit wie das Meer ist Gottes große Liebe“.

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