Anlässlich seiner jährlichen Jugendkonferenz „Youth Ministerial“ brachte der Ostseerat über seine Jugendorganisation „Baltic Sea Youth“ vom 04.05. bis 07.05. über 20 zivilgesellschaftlich engagierte Jugendvertreter*innen aus dem Ostseeraum in Tallinn zusammen. Dieses Jahr fand das „Youth Ministerial“ in Tallinn statt, da Estland 2025 den Vorsitz im Ostseerat innehat.
Dabei durfte ich, Tom Teske, als Vertreter des VCP und der Deutsch-Baltischen Zukunftsstiftung an dieser spannenden Veranstaltung teilnehmen und Pfadiperspektiven in die Kooperation im Ostseeraum einbringen.
Der Ostseerat (CBSS) ist ein zwischenstaatliches Forum zur politischen Zusammenarbeit in der Ostseeregion, dem elf Anrainerstaaten sowie die EU angehören. Er fördert Stabilität, nachhaltige Entwicklung, Sicherheit und zivilgesellschaftlichen Dialog, insbesondere in den Bereichen Umwelt, Jugend, Demokratie und Krisenprävention. Der Ostseerat dient dabei vor allem als Plattform zur Koordination regionaler Initiativen und zur Stärkung des Zusammenhalts zwischen den nordischen und baltischen Staaten sowie der EU. Das wichtigste Forum des Ostseerats ist das jährliche Treffen der Außenministerinnen der Mitgliedsstaaten in dem Staat, welcher den Vorsitz des Ostseerats innehat. Dort werden die wichtigsten inhaltlichen Schwerpunkte der regionalen Kooperation diskutiert und in einer Erklärung ausformuliert. Diese Erklärung trägt dieses Jahr den Titel „Vihula Declaration“, benannt nach dem Landgut im Lahemaa-Nationalpark in Nordestland, auf dem die Ministerinnen vom 15.05. bis 16.05. tagten, und hat in diesem Jahr einen stark sicherheitspolitischen Fokus. In der „Vihula Declaration“ heben die Mitgliedsstaaten des Ostseerats die wachsende sicherheitspolitische Bedeutung der Ostsee hervor, fordern verstärkten Schutz maritimer und kritischer Unterwasserinfrastruktur angesichts hybrider Bedrohungen wie Sabotage und der russischen Schattenflotte und betonen zugleich die zentrale Rolle der Jugend als aktive Gestalterin eines sicheren, demokratischen und resilienten Europas.
Paneldiskussionen, Workshops und Diskussionsrunden
In Vorbereitung auf das Außenministertreffen und um die Perspektiven und Interessen der Jugend im Ostseeraum in den Dialog einzubringen, haben wir als Jugendvertreter*innen auf dem „Youth Ministerial“ in Tallinn zuvor in Paneldiskussionen, Workshops und Diskussionsrunden, unter anderem mit Mitgliedern des estnischen Parlaments, der estnischen Bildungsministerin Kristina Kallas und anderen relevanten Akteuren, ein Positionspapier erarbeitet. Unser finales Positionspapier enthält ein integriertes Konzept für mehr digitale Teilhabe und demokratische Resilienz im Ostseeraum. Eine Kernidee ist die Einführung eines transparenten, mobilen Feedback-Portals, über das junge Menschen Politikvorschläge einreichen und deren Bearbeitungsschritte direkt von Entscheidungsträger*innen nachverfolgen können, flankiert von Youth Advisory Councils in Ministerien, Kommunen und EU-Institutionen, um Jugendvertreterinnen systematisch in jeden Schritt des Gesetzgebungsprozesses einzubinden und so partizipative Strukturen zu verankern. Ergänzend planen wir den Aufbau eines Best-Practice-Austauschnetzwerks mit Erasmus+, dem European Solidarity Corps und nationalen Jugendagenturen, damit erfolgreiche digitale Beteiligungsinstrumente länderübergreifend in der Ostseeregion adaptiert und weiterentwickelt werden. Zugleich schlagen wir vor, in Schulen und Jugendeinrichtungen monatlich verpflichtende zivilgesellschaftliche Bildungsangebote zu etablieren, angelehnt an die „educational hour“, welche es verpflichtend an ukrainischen Schulen gibt. Diese sollen profitieren vom Erfahrungsschatz von Jugendverbänden und NGOs, wie uns Pfadfinder*innen für naturbezogene Überlebenstrainings oder dem IMCC für Erste Hilfe und dabei zentrale demokratische und Krisenkompetenzen vermitteln, unterstützt von einem regionalen Archiv informeller Lerninitiativen für den kontinuierlichen Erfahrungsaustausch. Im Gegenzug würde dieser Ansatz uns Pfadis und den anderen beteiligten Organisationen im Ostseeraum helfen sich noch nachhaltiger als fester Bestandteil einer resilienten demokratischen Zivilgesellschaft zu etablieren. Um Online-Radikalisierung entgegenzuwirken, sehen wir Pflichtworkshops für Eltern und Erziehungsberechtigte, regelmäßige Fortbildungen für Lehrkräfte zu sozialen Medien und psychologischen Extremismustreibern sowie spezialisierte Kurse für Digital-Literacy-Expert*innen vor. Im Bereich Bildung und Technologie empfehlen wir ein regionales KI-Modul, das Sprachvielfalt respektiert und kritisches Denken fördert in Anknüpfung an Estlands „AI Leap 2025“. Für den Krisenfall soll eine Baltic Crisis Communication App mit KI-Chatbot Echtzeitinformationen und Falschmeldungskorrektur bieten, ergänzt durch standardisierte Push-Alerts auf allen Smartphones der Anrainerstaaten sowie groß angelegte Krisensimulationen mit CBSS-Einheiten und zivilgesellschaftlichen Partnern. Schließlich wollen wir das Baltic Sea Region Youth Forum fest in alle CBSS-Gremien und Projekte einbinden, um Jugend als gleichberechtigten Partner auf allen politischen Ebenen zu verankern.
Neben der intensiven inhaltlichen Arbeit blieb uns auch Raum für das gemeinsame Erleben der Stadt Tallinn und ihrer Geschichte, dank der hervorragenden und ausgewogenen Veranstaltungsorganisation durch den Estnischen Nationalen Jugendring. Während unseres Aufenthalts pfiff eine eisige Ostseebrise durch die UNESCO-Welterbe Altstadt von Tallinn, was aber nicht gestört hat. Dadurch, dass ich letztes Jahr bereits zwei Monate im Rahmen eines Praktikums in Estland gelebt habe, waren mir sowohl die Schönheit, aber auch das typisch windig-kühle Wetter der Stadt bestens vertraut. Aber auch diese Mal konnte ich wieder etwas Neues über die estnische Hauptstadt lernen. Bei einer Führung durch das Museum „Kiek in de Kök“ konnten wir die historischen Stadtmauern erkunden und erfuhren unter anderem, dass einer estnischen Legende zufolge die dänische Flagge ursprünglich in Tallinn vom Himmel gefallen sei. Besonders eindrücklich war der Gang durch das weitverzweigte Tunnelsystem unter dem Hang am Freiheitsplatz, das in der jüngeren Geschichte sowohl schutzsuchenden Menschen als auch seltenen Spinnenarten als Zufluchtsort diente. Im Fotomuseum „Fotografiska Tallinn“ gewannen wir schließlich eindrucksvolle Einblicke in die estnische Sportwelt zur Zeit der sowjetischen Besatzung, festgehalten durch die Linse des renommierten estnischen Fotografen und Journalisten Lembit Peegel.
Ich blicke auf das „Youth Ministerial“ mit großer Dankbarkeit zurück: für das viele neue Wissen über Jugendbeteiligung und Demokratieförderung im Ostseeraum, für die engagierten und inspirierenden Mitwirkenden sowie für die vielen Ideen, Perspektiven und Kontakte, die ich aus Tallinn mitnehmen durfte. Unter anderem habe ich einen tollen Menschen innerhalb der estnischen Pfadfinder kennengelernt, der mir sicher während der Planung einer Studienfahrt für den VCP Hessen in die baltischen Staaten im Herbst 2026 helfen kann. Diese Erfahrungen in Tallinn haben meinen Wunsch bestärkt, mich auch weiterhin aktiv in internationale Jugendstrukturen einzubringen, insbesondere dort, wo junge Stimmen unmittelbar in politische Prozesse einfließen können.