Was macht das Sternchen da?

Gendersternchen Beitragsbild

von Paula Kanzleiter

Ich bin sehr verliebt in Sprache. Das liegt an vielen Dingen – sicherlich einmal daran, dass sie in meinem Studium eine große Rolle spielt und ich mich seit zwei Jahren intensiv damit beschäftige, wie man Sprache gleichzeitig möglichst präzise und möglichst verständlich gestalten kann. Vor allem aber bin ich verliebt in Sprache, weil sie fast unbemerkt unsere Kultur und unser Verständnis von der Welt prägt. Sie übermittelt Wissen, beschreibt Gefühle und zeichnet die Geschichten, die wir über uns als Menschen und als Gesellschaft erzählen. Wenn wir uns fragen, wer wir sein wollen und in was für einer Gesellschaft wir leben wollen, müssen wir uns immer auch mit der Sprache beschäftigen – denn sie bestimmt, wie wir Probleme und ihre Lösungen beschreiben und wen wir als Teil unserer Gesellschaft anerkennen.

Ein Phänomen der deutschen Sprache ist das »generische Maskulinum«. Dieser Begriff bezeichnet den Umstand, dass im Deutschen die männliche Form meist als »neutrale« Form verwendet wird. Wir sagen also zum Beispiel »Lehrer«, wenn wir von Lehrkräften sprechen. Das ist eine Norm, eine gesellschaftliche Gewohnheit, über die inzwischen viel diskutiert wird. Immer wieder stellt sich nämlich heraus: Das »generische« Maskulinum ist gar nicht so generisch, wie es tut. In verschiedenen Studien hat sich gezeigt, dass Menschen eher an Männer denken, wenn sie nur die männliche Form höreni. Das führt einmal dazu, dass wir ein verzerrtes Weltbild haben. Darüber hinaus hat es aber auch eine direkte Auswirkung, die auch uns beim VCP betrifft: Für Posten und Ämter, die mit dem generischen Maskulinum beworben werden, werden eher Männer vorgeschlagenii. Dass es nur schlecht funktioniert, eine Geschlechtsform für alle Geschlechter zu nutzen, könnt ihr auch einmal an euch selbst ausprobieren – an wen denkt ihr, wenn ihr den Satz »Die Mechanikerinnen bauen einen Roboter« lest?

Wo wollen wir hin?

Wenn ich mir die Welt vorstelle, in der ich leben will, ist das eine, in der alle mit am Tisch sitzen dürfen – unabhängig von beispielsweise Alter, Herkunft, Sexualität und Geschlecht. Ich möchte versuchen, alle Menschen anzuerkennen und ich möchte versuchen, das in meiner Sprache widerzuspiegeln. Ich will versuchen, Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht zu sehen. Langfristig braucht es dafür eigentlich eine geschlechtsneutrale Sprache. Trotzdem sprechen viele immer noch von Pfadfinder*innen und nicht von Pfadfindenden. Das liegt daran, dass wir uns so daran gewöhnt haben, dass Männer angesprochen werden, dass auch vermeintlich neutrale Wörter wie »people«, »user« oder »scientist« eher als männlich interpretiert werdeniii. Die Welt, in der wir leben, ist schlicht noch keine geschlechtsneutrale Welt. Bis wir das erreichen, wird es nach aktuellen Recherchen des World Economic Forum noch 132 Jahre braucheniv. Bis dahin braucht es noch eine Sprache, die ganz konkret benennt, dass alle Geschlechter gemeint sind. Wir können versuchen, das mit dem Binnen-I (»PfadfinderInnen«), einem Schrägstrich (»Pfadfinder/innen«) oder einem Doppelpunkt (»Pfadfinder:innen«) zu machen. Oft wird aber das Sternchen verwendet. Das hat einen Grund: Es hat sich an vielen Stellen, an denen von Geschlechterdiversität gesprochen wird, etabliert und soll somit auch für all die Geschlechter außer »Mann« und »Frau« stehen. Im Gegensatz zu den anderen Schreibweisen, die einfach nur auf die zusätzliche weibliche Form verweisen, werden hier non-binäre Menschen nicht vergessen. Auch der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband bittet darum, dass man das Sternchen nutzt, wenn man gendern will.

Wenn man »Pfadfinder*innen« schreibt, finden sich darin also ganz viele verschiedene Formen wieder. Wir werden nicht alle zur »Pfadfinder*in«, sondern können wissen, dass unser Geschlecht in dem Wort mit drinsteckt. Ich würde also sagen: »Ich bin eine Pfadfinderin von vielen Pfadfinder*innen« – und dabei niemanden vergessen. Auch für die Aussprache gibt es viele verschiedene Ansätze. Meistens wird eine kleine Pause dort, wo das Sternchen ist, eingebaut, so, wie man das zum Beispiel auch bei »beachten« zwischen a und e macht.

All das heißt nicht, dass irgendwer irgendwen dazu zwingen will, das Gendersternchen zu benutzen. Weiterhin gilt: Eure Sprache gehört euch und wie ihr sie nutzt, könnt nur ihr selbst entscheiden. Und auch, wenn ihr jetzt anfangen wollt, eure Sprache anzupassen, könnt ihr das ganz in eurem Tempo machen. Probiert euch aus und lasst die Gewohnheit wachsen, so viel ihr wollt. Überlegt euch: In was für einer Gesellschaft will ich leben und wie kann ich dazu beitragen? Manchmal sind es viele kleine Schritte, die am Ende einen großen ergeben.

Das heißt nicht, dass eine Person, die nicht gendert, gegen Geschlechtergerechtigkeit ist. Es gibt verschiedene Sachen, die auf dem Weg zur Gleichberechtigung noch zu tun sind und wir können versuchen, jede davon ernst zu nehmen. Aber: Genau so wenig ist Gendern Zeichen einer Ideologie. Es ist vielmehr eine Reaktion auf einen wissenschaftlichen Konsens gekoppelt mit dem Versuch, mit einer präzisen Sprache allen einen Platz am Tisch zu geben. Ebenso wie das generische Maskulinum ist es eine Gewohnheit, die Sprache und Kultur prägt. Wenn wir anerkennen, dass weder das eine noch das andere neutral ist, können wir uns überlegen, wie und für wen wir unsere Sprache nutzen wollen.

i Hegarty, Peter and Buechel, Carmen (2006), Androcentric Reporting of Gender Differences, APA Journals: 1965-2004 Review of General Psychology, 10:4, 377-89; Vainapel, Sigal, Shamir, Opher Y., Tenenbaum, Yulie u. Gilam, Gadi (2015): »The Dark Side of Gendered Language: The Masculine-Generic Form as a Cause for Self-Report Bias«, in: Psychological Assessment 27:4, 1513-19; Sczesny, Sabine, Formanowicz, Magda u. Moser, Franziska (2016): »Can Gender-Fair Language Reduce Gender Stereotyping and Discrimination?«, in: Frontiers in Psychology, 7, 1-11; Horvath, Lisa Kristina u. Sczesny, Sabine (2016): »Reducing women’s lack of fit with leadership positions? Effects of the wording of job advertisements«, in: European Journal of Work and Organizational Psychology, 25:2, 316-28; Stout, Jane G. u. Dasgupta, Nilanjana (2011): »When He Doesn’t Mean You: Gender-Exclusive Language as Ostracism«, in: Personality and Social Psychology Bulletin, 36:6, 757-69; Vervecken, Dries, Hannover, Bettina u. Wolter, Ilka (2013): »Changing (S) expectations: How gender fair job descriptions impact children’s perceptions and interest regarding traditionally male occupations«, in: Journal of Vocational Behavior, 82:3, 208-20; Prewitt-Freilino, J.L., Caswell, T. A. u. Laakso, E. K. (2012): »The Gendering of Language: A Comparison of Gender Equality in Countries with Gendered, Natural Gender, and Genderless Languages«, in: Sex Roles, 66: 3-4, 268-81; Gygax, Pascal, Gabriel, Ute, Sarrasin, Oriane, Oakhill, Jane u. Garnham, Alan (2008): »Generically intended, but specifically interpreted: When beauticians, musicians, and mechanics are all men«, in: Language and Cognitive Processes, 23:3, 464-85, Stahlberg, D., Sczesny, S. u. Braun, F. (2001): »Name your favorite musician: effects of masculine generics and of their alternatives in German«, in: Journal of Language and Social Psychology, 20, 464-69.

ii Stahlberg, D. u. Sczesny, S. (2001): »Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen«, in: Psychologische Rundschau, 52, 131-40; Horvath u. Sczesny (2016); Sczesny, Formanowicz u. Moser (2016).

iii Bradley, A., MacArthur, C., Carpendale, S. u. Hancock, M. (2008): »Gendered or Neutral? Considering the Language of HCI«, Graphic Interface Conference 2015, 3.-5. Juni, Halifax, Nova Scotia, Canada, https://graphicsinterface.org/wp-content/uploads/gi2015-21.pdf, abgerufen am 19.09.2022.

iv World Economic Forum (2022): »Global Gender Gap Report«, 5, https://www.weforum.org/reports/global-gender-gap-report-2022/, abgerufen am 19.09.2022.

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