Ohren auf für Zwischentöne

von Rica Rösner

Ein Bekannter beginnt ein Gespräch mit mir, ich sehe das Leuchten in seinen Augen. Das leichte Lächeln, das um seine Lippen spielt. Er hat eine besondere Erfahrung gemacht und erzählt mir von seiner letzten Reise. Eigentlich eine sehr spannende Geschichte. Aber irgendwie bin ich nicht so richtig bei der Sache. Merke, wie ich gedanklich immer wieder abdrifte. So geht es einige Minuten lang, ehe er mich mit einer Mischung aus Enttäuschung und Wut anschaut. Kein schönes Gefühl – weder für ihn noch für mich.
Doch wer kennt’s nicht? Manchmal sind wir so sehr mit unseren eigenen Gedanken beschäftigt, dass da nicht genug Platz für Gespräche ist. Für andere Geschichten und Eindrücke.
Das ist traurig.

Und gleich vorneweg: So funktioniert Kommunikation nicht. Deshalb kann ich nur sagen: Ohren auf für Zwischentöne. Lernt einander zuzuhören – und lernt dabei noch eine Menge über euch selbst.

Denn jede*r von uns ist ein Zusammenspiel aus Gedanken,
Gefühlen, Erlebnissen und Eindrücken. Facettenreich und einzigartig. Jede*r nimmt die Welt ein bisschen anders wahr.
Lass dir mal die gleiche Begebenheit von zwei Menschen schildern. Du wirst sehr wahrscheinlich zwei Geschichten hören.
Beide Menschen werden ihre eigene Perspektive erzählen, auf andere Details achten und unterschiedliche Dinge für wichtig erachten.

Jeder Mensch hat eine eigene Geschichte. Und es gibt so unendlich viele Geschichten, die alle gehört werden sollten. Sie sind spannend, unvergleichlich und erzählen vom Leben.

Aber wie gelingt es uns, richtig zuzuhören? Dem*der
Gesprächspartner*in den gebührenden Respekt und die richtige Aufmerksamkeit zu schenken? Hier kommt das aktive Zuhören ins Spiel: Im Grunde genommen geht es darum, dem*der Gegenüber wirklich zuzuhören. Und dabei nicht nur auf die gesprochenen Worte zu hören, sondern auf alle Handlungen der Person. Auf die Mimik und die Gestik. Auf Pausen.
Anfangs habe ich meinem Bekannten aktiv zugehört, denn mir ist das Leuchten in seinen Augen aufgefallen. Das leichte Lächeln. Es geht darum, Empathie zu zeigen und aktiv auf den*die Andere*n zuzugehen. Die Person wirklich wahrzunehmen. Und sich selbst dabei auch einmal zurückzunehmen.
Kommunikation erfordert Geduld und Empathie. Und vor allem Konzentration. Nachfragen, wenn man etwas nicht versteht. Auf die Gefühle achten – sowohl auf die der anderen Person als auch auf die eigenen. Und diese aktiv ansprechen. Aber dabei nicht urteilen, sondern zu versuchen, wirklich zu verstehen.
Denn das ist aktives Zuhören letztlich: Verstehen. Die Geschichten der anderen verstehen. Die verschiedenen Perspektiven. Gefühle und Erlebnisse.
Ich entschuldige mich bei meinem Bekannten. Und er ist so lieb und beginnt die Geschichte von vorne. Seine Augen leuchten noch ein bisschen mehr. Das Lächeln wird breiter. Und ich merke, dass ich nun nicht mehr nur die Ohren offenhalte, sondern ihm wirklich zuhöre. Und glaubt mir, die Geschichte, die er mir erzählt, ist wirklich einzigartig. Und ich kann sie nun so erleben, weil ich die Ohren für Zwischentöne geöffnet habe.

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