Wir wollen mehr werden!

Foto: Natascha Sonnenberg

Von Patrick Franz

Pfadfindung gibt 20.000 neue Mitglieder bis 2026 vor

Den Vereinen in Deutschland laufen die Mitglieder weg. Immer wieder liest, hört und sieht man diese oder in ihrer Formulierung leicht abgewandelte Überschriften auf den unterschiedlichsten Nachrichtenportalen. Aber stimmt das überhaupt? Und war das „im Verein“ sein nicht mal des*der Deutschen liebstes Hobby? So ganz stimmt diese Annahme nicht, glaubt man der Bertelsmann-Stiftung und einer von ihr durchgeführten Studie aus dem Jahr 2017. Darin heißt es, rund jede*r zweite ­Deutsche ist Mitglied in einem von mehr als 600.000 Vereinen. 95 Prozent der gemeinnützigen Organisationen sind Vereine, aber auch Stiftungen und Genossenschaften und andere Organisationsformen nehmen zu. Bei einem Drittel der Vereine stieg die Zahl der Mitglieder im Vergleich zum Jahr 2012.

Dennoch gibt es Unterschiede: Zwar ist der Sport mit 22 Prozent der größte Organisationsbereich, aber nur 32 Prozent der 133.000 Vereine sagen, dass ihre Mitgliederzahlen wachsen. Bei Vereinen, die Bürger- oder Verbraucherinteressen vertreten, sind es 51 Prozent.

Das mit dem „im Verein sein“ ist ­heute auch eine ganz andere Sache als noch vor 20 oder gar 30 Jahren. Der gesellschaftliche Wandel macht vielen in Deutschland zu schaffen: Ganztagsschule und eine veränderte Berufswelt knabbern an den wichtigsten Ressourcen: Dem Nachwuchs und ehrenamtlichen Helfern. Wer stellt sich heute noch dreimal die Woche als Trainer in eine Halle, am Wochenende an den Grill oder fährt die Kinder auf ein ­Lager oder zu einem Spiel? ­Viele Menschen können und w ­ ollen das nicht mehr.

Wer sich in seiner Freizeit beschäftigen will, der mag es heute gerne flexibel. Die Ersatzfamilie Verein – das wollen viele nicht mehr. Ein Verein, der heute überleben und seine Mitgliederzahlen halten oder gar wachsen sehen will, muss umdenken. Ein guter Verein ist ein Verein, der offen ist für alle, der ein Angebot macht, was die Menschen anspricht, ihrem Lebensalltag, ihren gesundheitlichen, sozialen Erfordernissen entspricht und ihnen immer wieder die Freiheit ermöglicht, auch neue Formen zu wählen, neue Kontakte aufzubauen, sich zu engagieren oder eben auch nicht. Klingt für einen so traditionsbewussten Laden wie die ollen Pfadfinder*innen nach einer ganz schon kessen Aufgabe – oder?

Foto: Roman Heimhuber

Auch der VCP ist ein Verein und hier stellt sich uns die Frage, wie es eigentlich bei uns aussieht. Wir haben dazu unseren Generalsekretär Jan Behrendt befragt.

anp: Jan, du als Generalsekretär des VCP hast bestimmt einen guten Überblick über die Entwicklung unserer Mitgliederzahlen in den vergangenen Jahren.
Kannst du uns dazu etwas erzählen und etwas zu den Entwicklungen bei den anderen Ringeverbänden
sagen?

Jan: Die Mitgliedszahlen waren bei uns in den vergangenen Jahren immer mehr oder weniger stabil. Das heißt, sie gehen mal etwas nach oben und dann mal wieder etwas nach unten, sodass wir eigentlich immer auf dem gleichen Level unterwegs sind. In Bundeslagerjahren gibt es etwas deutlichere Anstiege – außer 2017, wo die veränderte Beitragsstruktur zu einem leichten zu erwartenden Rückgang der Mitgliedszahlen geführt hatte. Für die Ringeverbände kann ich nicht sprechen. Mein Gefühl ist allerdings, dass Pfadfinden im Verhältnis zu anderen ehrenamtlich geprägten Vereinen im Moment noch komfortable Mitglieder-Entwicklungen hat, es also einen eindeutigen Bedarf für unser Angebot gibt. Ich habe eher den Eindruck, dass zumindest wir im VCP derzeit oftmals gar nicht in der Lage sind, das Bedürfnis mit einem Angebot abzudecken, weil uns in den Orten oft die Gruppen­leitungen fehlen.

anp: Die Pfadfindung hat eine ganz schön große Zahl aufgeschrieben, wie viele neue Mitglieder der VCP haben möchte: 20.000 bis 2026. Wie glaubst du, kriegen wir das hin?

Jan: Das wie müssen wir zusammen entwickeln. Dafür wurde dem Verband und insbesondere der Bundesleitung die Steuerungsgruppe „Pfadfindung“ an die Seite gestellt, um Vorschläge für Maßnahmen zu skizzieren und in eine Diskussion zu bringen. Persönlich denke ich, dass es eines Mixes bedarf. Einerseits müssen wir das leidige Thema der Anmeldemoral derjenigen aufgreifen, die bereits mitmachen und sich bislang noch nicht angemeldet haben. Hier höre ich immer wieder, dass der Mehrwert der Mitgliedschaft oft nicht gesehen wird. Ein zusätzlicher Blick muss auf Quereinsteigerkonzepte und Stammesneugründungen gelegt werden. Da gibt es schon viele gute Ideen, allerdings nicht in der Breite des VCP. Und die Umsetzung ist oft eine Ressourcenfrage. Wir müssen zusammen sehen, wie wir hier Leuchtturmprojekte gefördert bekommen, die nachhaltige Wirkung erreichen und zum Nachahmen einladen. Zuletzt lohnt sich sicherlich auch ein Blick auf nahe, evangelische Verbände: Wie kann man miteinander kooperieren? Sind Modelle einer Anschlussmitgliedschaft denkbar?

anp: Wenn du in die große Glaskugel schauen könntest: Wie siehst du die Zukunft des VCP? Was machen wir in 20 Jahren, also 2039?

Jan: Manchmal möchte ich gar nicht in die Glaskugel schauen können, manchmal jedoch sehr. Ich finde die Frage schwierig zu beantworten. Die Pessimisten prophezeien seit einiger Zeit große Herausforderungen, nicht zuletzt aufgrund des demografischen Wandels und faktisch schwindender Förderung. Gleichzeitig habe ich ja bereits ausgeführt, dass Pfadfinden offensichtlich einen sogenannten Impact hat, den andere nicht haben und somit immer attraktiv bleiben wird. Außerdem habe ich eines gelernt: Der VCP hat es bisher immer geschafft, aus eigener Kraft Herausforderungen zu bewältigen. Davon bin ich mittlerweile fest überzeugt! Auch wenn ich nicht genau sagen kann, wo wir in 20 Jahren stehen: Es wird den VCP als relevante Größe in der Jugendverbandslandschaft geben.

anp: Glaubst du, es macht Sinn, einen großen, vereinten Pfadfinderbund in Deutschland zu haben, um die Kräfte des Pfadfindes zu bündeln?

Jan: Ich glaube schon, dass es Sinn macht, mehr Energie auf „Pfadfinden in Deutschland“ zu verwenden, sowohl aus Ressourcengründen, als auch aus Gründen der Wahrnehmbarkeit von Pfadfinden generell. Ich bin auch davon überzeugt, dass das gehen kann, ohne dass wir vollständig unsere Verbandskulturen aufgeben müssen. Bei internationalen Veranstaltungen geht der Trend ja bereits seit einigen Jahren in diese Richtung. Jetzt müssen wir das nur auch noch auf nationaler Ebene besser hinbekommen. Herausforderungen sehe ich noch insbesondere in die Öffnung der Ringeverbände RDP und RdP gegenüber weiteren Mitgliedern. Hier muss man sich hinsetzen und sehr gut überlegen, wie das gehen kann und für wen welcher Weg der richtige ist.

Wie seht ihr die Situation bei euch vor Ort? Habt ihr große Probleme oder könnt ihr euch vor Anfragen gar nicht retten? Lasst es uns wissen und schreibt uns zu diesem Thema eure Eindrücke. Auch Flip und Eric aus der Bundesleitung, Referat Stämme, sind an eurer Situation vor Ort interessiert.

Lasst uns gemeinsam etwas tun, um keinen
­Mitglieder­alarm auslösen zu müssen!

Interview mit Eric und flip aus dem Referat Stämme

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