Wegen Umbau vorübergehend geschlossen

Foto: Peter Mestel

von Lena Berkey

Ein Blick über den Lagerplatz und alles scheint der Wahnsinn zu sein: spielende Jungpfadfinder*innen, normale Gruppenleitungen, die letzte Vorbereitungen treffen und Pfadfinder*innen, die in Haufen aufeinanderliegen oder miteinander verknotet (häufig ist es nicht so offensichtlich, welcher Arm und welches Bein zu wem gehört) und froh darüber sind, dass sie von allen anderen in Ruhe gelassen werden.

Diese Ruhe beruht auf Gegenseitigkeit. Eine kurze Frage oder eine Bitte an diese können schon zu Emotionsexplosionen führen, die oftmals unvorhersehbar sind. An diesem Punkt angelangt sind vor allem Eltern die ersten, die nicht mehr weiterwissen. Doch wie gehen wir als Gruppenleiter*innen mit diesen Emotionen, Ausbrüchen und Unsicherheiten von Kindern und Jugendlichen in der Pubertät um?

Die Pubertät ist DIE Zeit der Veränderungen. Körper, Gedanken, Gefühle und vieles mehr verändern sich und nichts ist, wie es einmal war. Die Eltern und Geschwister fangen an, so richtig zu nerven, die Schule stresst unnötig rum und das Programm in den Gruppenstunden gibt viel zu wenig Zeit her, um über den eigenen Schwarm zu reden. Es nervt einfach alles!

Es ist eine ungewohnte Zeit. Eine Zeit, die voller spannender, aber auch schöner und unschöner Momente, Ereignisse und Erfahrungen ist. Doch nicht nur der Körper verändert sich in dieser Zeit, sondern auch das Gehirn. Hier finden viele Umbauarbeiten statt: Das Gehirn strukturiert sich neu, Hormone werden ausgeschüttet, die das Wachstum ankurbeln und neue, intensive Gefühle bescheren. Der Körper entwickelt sich in dieser Phase so schnell, dass die betroffene Person sich gar nicht an die Veränderung gewöhnen kann, weil kurz darauf schon die nächste kommt oder die Phase der Veränderung sich im Vergleich mit den anderen Gleichaltrigen einfach nur in die Länge zieht.

Emotionsexplosionen gehören also selbstverständlich zur Pubertät dazu und sind nicht immer planbar und geschweige denn einfach in den Griff zu bekommen. Verschiedene Tipps und Tricks können Gruppenleiter*innen helfen, die Explosion wenigstens ein bisschen in den Griff zu bekommen:

  1. Du sollst nicht der*die beste Freund*in deines Sipplings sein!
    Sipplingen jede Möglichkeit zu bieten, dass sie sich nicht an Regeln und Vereinbarungen halten müssen, eigene Beziehungsprobleme mit allen zu besprechen oder ähnliches mag vielleicht der richtige Weg sein, um der*die coolste Gruppenleiter*in zu werden. Allerdings besteht die Aufgabe einer Gruppenleitung nicht darin „der*die beste Freund*in“ unseres Sipplings zu werden, denn dafür haben sie schon einen besten Freund*eine beste Freundin. Als Gruppenleiter*in wollen wir Vorbilder sein und keine Nachahmer*in.
  2. „Lass deine Sipplinge falsche Entscheidungen treffen!“
    Learning by doing ist hier der richtige Ansatz. Wir wollen, dass unsere Sipplinge zu eigenständigen, selbstbewussten Menschen werden und müssen ihnen aus diesem Grund erlauben, Entscheidungen selbst zu treffen und aus ihnen zu lernen. Anregungen und Vorschläge, die sie zuvor noch gerne in den Gruppenstunden und auf Lagern angenommen haben, werden jetzt erst einmal abgelehnt und oftmals genau anders ausprobiert. Trotzdem ist es wichtig, Kontrolle Stück für Stück abzugeben und sie ihre eigenen Erfahrungen machen zu lassen. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem sie nicht weiterwissen und nach Rat fragen, denn Pubertierende sind am Anfang ungeschickt in allem, was sie tun. Alles ist neu und anders und niemand hat sie gefragt, ob sie diese Entwicklungsphase eigentlich möchten.
  3. Lass Freiheiten, um über Gefühle, Liebe und Sex zu reden!
    Alle Gruppenleiter*innen kennen es (hoffentlich): Sippenstunden planen. Es braucht nicht nur Zeit, sondern auch manchmal viele Nerven. Es kommt der Tag, an dem du wieder einmal alles Mögliche vorbereitet hast, du dich darauf freust und deine Sipplinge einfach gar keine Lust haben. Warum irgendein Programm machen, wenn sie den ganzen Tag schon in der Schule von ihren Lehrkräften gelangweilt wurden und es keine Möglichkeit gab, sich über die wichtigen Sachen im Leben auszutauschen: Liebe, Gefühle und so weiter. Schaffe diesen Freiraum und ermögliche es ihnen. Das vorbereitete Programm läuft nicht weg und lässt sich jederzeit nachholen. Der Freiraum, über Gefühle zu sprechen, wird vielen Kindern und Jugendlichen nicht geboten und ist dennoch sehr wichtig.
  4. Handelt gemeinsame Kompromisse aus!
    Deine Sipplinge wollen am Tschaiabend wachbleiben, solange sie Lust darauf haben. Du hingegen hast die gesamte Führungsrunde im Nacken, weil ihr gemeinsam eine Nachtruhe beschlossen habt. Was tun? An dieser Stelle ist es wichtig, zu hinterfragen, worum es den Sipplingen dabei geht und worum der Führungsrunde? Gibt es eine Variante C, mit der alle leben können? Denkt dabei daran, Kompromisse sind wichtig, jedoch manchmal beispielsweise aus rechtlichen Gründen nicht machbar.
  5. Nimm Kritik nicht persönlich!
    Es ist manchmal kränkend, unschön und unfreundlich, wenn die Sipplinge Hass auf einen selbst schieben. Auf Durchzug schalten, Sipplinge wegschicken oder gar irgendetwas verbieten ist hier der falsche Weg. Wer laut schreit, möchte gehört werden und muss Dampf ablassen. Diese Möglichkeit muss geboten werden und über gekränkte Gefühle kann im Nachhinein immer noch gesprochen werden.
  6. Tausche dich mit anderen aus!
    Die Pubertät ist für alle nicht einfach. Sie treibt nicht nur die betroffene Person selbst in den Wahnsinn, sondern dich als Gruppenleiter*in beispielsweise auch. Tausche dich abends mit einer Person deines Vertrauens darüber aus und sammele neue Strategien. Denke dabei nur daran, dass du die Gefühle der betroffenen Person nicht verletzten möchtest und aus diesem Grund lieber persönliche Daten weglässt.
  7. Lachen ist gesund!
    Nicht alle Strategien sollten schwarz auf weiß geschrieben stehen. Dieser Punkt fordert Kreativität. Sicherlich gibt es weitere Möglichkeiten und Strategien für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen, die ein großes Schild mit der Aufschrift „Wegen Umbau vorübergehend geschlossen“ auf der Stirn kleben haben. Bei jedem Kind oder jeder*jedem Jugendlichen wirkt eine andere Strategie mehr oder weniger. Doch eines muss uns dabei immer bewusst sein: Wir waren auch nicht immer einfach!
Ursprünglich erschienen im „hesseblättche“.
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