Die selbstgenähten Trachten des Evangelischen Mädchen-Pfadfinderbundes

Foto: Privatarchiv Kunze

Der Evangelische Mädchen- Pfadfinderbund — kurz EMP genannt — gehörte neben dem BCP und den CPD zu den Verbänden, die sich 1973 zum VCP zusammenschlossen. Er entstand 1926 aus einer kirchlichen Bewegung, die aufgeweckten jungen Mädchen Hilfe, Schutz und Bildung bieten sollte.

Aber woher kamen damals plötzlich all die aufgeweckten Mädchen? Das hat mit den erstarkenden Frauenrechten zum Anfang des 20. Jahrhunderts zu tun: Zum Beispiel mit der Verabschiedung des Beschlusses 1918, dass von da an alle Frauen ab dem 21. Lebensjahr das Recht hatten, zu wählen. Mit diesem Umschwung in der Gesellschaft zog es junge Frauen und Mädchen in die Großstädte, um — wie die männlichen Gesellen — ihren eigenen Unterhalt zu verdienen und ihre neu gefundene Freiheit zu testen.

So fanden sich im März 1927 einige Mädchen im Burckhardthaus wieder, um die ersten Führerinnen der evangelischen Mädchenpfadfinder zu werden. Die Normen und Richtlinien, die den Mädchen zu dieser Zeit beigebracht wurden, standen unter dem Motto „Psychologie des Jugendlichen“ und „Pfadfinderarbeit ist Erziehung“. Dazu gehörten praktische Übungen, wie Aufstellungen, sportliche Spiele, Orientierung, Signalisierung, erste Hilfe und eine dreitägige Wanderung mit Zelten — also in etwa das, was wir heute immer noch bei unseren Gruppenleiterkursen machen. Das Ende des Kurses war aber anders: Anstelle eines Zertifikats und der Juleica-Card, wurden den Mädchen in einer Zeremonie offiziell ihre Trachten und ersten Abzeichen überreicht, zusammen mit einem Vertrag. Der besagte, dass bei Fehlverhalten die Tracht dem Mädchen wieder eingezogen werde durfte. Aber keine Sorge: Die Pfadfinderin konnte sich ihre Kluft nach einer kleinen Auszeit wieder zurückkaufen und es gab neben einer Tracht für offizielle Anlässe noch eine weitere Tracht für Lager und gewöhnliche Gruppenstunden.

Pfadfinderinnen mit der Weltbundfahne.
Bild: Spuren-Materialien für die Gruppe, VCP 1993.

Neben dem offensichtlichen Farbunterschied zwischen beiden Trachten gab es noch Unterschiede in der Verarbeitung.

Die offizielle EMP-Tracht bestand aus einem dunkelgrünen (indanthren) knitterfreien Stoff. Je nach Belieben konnte er als vollständiges Kleid vernäht werden oder als Bluse mit passendem Rock. Egal für welche Version man sich entschied, gehörte ein dunkelbrauner Ledergürtel mit Weltbund-Kleeblatt zum Outfit, genau wie ein silbergraues Halstuch, das wie eine Krawatte unter dem Kragen getragen wurde. Gruppenführerinnen und höhere Ränge durften dazu einen „sportlichen Hut“, wie sie es damals genannt haben, im gleichen Dunkelgrün tragen. Diesen Hut würden wir heutzutage wahrscheinlich eher als Baskenmütze oder Barett bezeichnen.

Im Gegensatz zur Tracht für offizielle Anlässe wirkt die zweite eher wie ein Sommerkleid. Das war vermutlich auch der Grund, warum die Pfadfinderinnen es damals „Lagerkleid“ tauften. Naja, und weil man diese Tracht zu Sommerlagern trug. Der hellgrüne Leinenstoff lässt das Lagerkleid lebendiger wirken. Es konnte, genau wie die Tracht, als einteiliges Kleid verarbeitet werden oder als zweiteiliges Outfit, das dieses Mal nicht nur aus Rock und Bluse bestehen durfte, sondern auch mit einer Hose kombiniert werden konnte!

Pfadfinderinnen mit Tracht und Ledergürtel.

Bild: Spuren-Materialien für die Gruppe, VCP 1993.

Fun Fact: Hosen waren für Frauen nicht immer eine Selbstverständlichkeit, zum Beispiel wurde in Paris erst 2013 das Verbot für Frauen, Hosen zu tragen, offiziell als ungültig erklärt. 2013! Haben Frauen schon vorher Hosen getragen? Ja klar. Tatsächlich wurden schon im 18 Jahrhundert von Minenarbeiterinnen Hosen bei der Arbeit getragen. Auch im 19. Jahrhundert waren Hosenröcke bei Damenreiterinnen sehr beliebt. Gesellschaftlich akzeptiert wurden Frauenhosen allerdings erst um 1960.

Neben den für die Zeit fortschrittlichen Hosen wurde die hellgrüne Tracht mit einem gelben Halstuch kombiniert, das ebenso unter dem Kragen getragen wurde.

Beide Trachten wurden meistens von den Mädchen oder ihren Müttern selbst hergestellt. Sie konnten Stoff und Schnittmuster im Burckhardthaus kaufen, für 4,50 DM pro Meter.

Jede einzelne Tracht der Evangelischen Mädchen Pfadfinderinnen ist ein Unikat, mit dem sie ihre Individualität ausgedrückt haben. Was wir heutzutage mit unseren Badges machen, haben sie damals durch gepuffte Ärmel, bunte Knöpfe oder etwas zu kurze Shorts gezeigt. Und ich finde, das ist ziemlich cool!

Während des Lager-Lizenz-Kurses 1960.

Bild: Spuren-Materialien für die Gruppe, VCP 1993.

Übrigens hat der EMP sich zu Beginn sehr schwer getan, überhaupt Trachten einzuführen. Zunächst konnten sie sich nicht auf eine Farbe einigen, und als der zweite Weltkrieg ausbrach, haben sie nur bedingt mit der Vereinsarbeit als Evangelische Jugend fortfahren dürfen. So entschieden sie sich erst 1951 für das Design und die Farbe der Trachten, wie sie auf den Bildern zu sehen sind.

Damals wie heute ist es wichtig, über das Thema Trachten/Kluften zu sprechen, denn auch wenn sie ein Zeichen der Individualität sein können, heißt das nicht, dass jede*r sich in einer Kluft wohlfühlt. Am Ende des Tages sollten wir tragen, was uns am besten gefällt.

Trachten aus dem VCP-Bundesarchiv. Bilder: Maiken Cramer.

Recherche-Links:

Literarische Quellen:

  • Spuren-Materialien für die Gruppe: Die Geschichte des Evangelischen Mädchen Pfadfinderbundes EMP – Eine Dokumentation vom VCP-Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder, 1993.

Übrigens: Auch weitere Aspekte der Geschichte des EMP, insbesondere zur Zeit des Nationalsozialismus, werden im Spuren-Heft behandelt.

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