Eine kleine Geschichte

„Was, glaubst du, wird da drin sein?“ fragte er seine große Schwester, die an den alten verrosteten Scharnieren herumfummelte.

„Hmm, wer weiß, vielleicht Opas altes Gebiss. Er hat doch alles aufgehoben.“ „Iiiiihhhh, nein bloß nicht! Außerdem ist der Koffer bestimmt viel älter, als Opa!“

Seine Schwester schaute von den immer noch widerborstigen Scharnieren auf und blickte ihn das erste Mal direkt an, seit sie hier hinauf auf den alten Dachboden gestiegen waren: „Woher willst du das wissen?“ „Na, Opa hat doch grad erzählt, dass er mit nichts als einem alten Mantel aus dem Krieg gekommen sei und dann das erste Mal hier im Haus seines Opas ankam, den er gar nicht kannte. Der Armee-Mantel lag dort vorn, da sind wir drüber gestiegen und dann ist die Staubschicht immer dicker geworden, je weiter wir hier hinter gegangen sind. Guck, man kann sogar unsere Fußabdrücke auf dem Boden sehen!“ „Stimmt. Aber wer hat den Koffer dann hier her gestellt?!“ „Wenn du ihn endlich aufmachst, wissen wir es.“ „Der will ja nicht“, antwortete sie und gab dem Koffer eine wütenden Tritt. Mit einem lauten Knallen sprang das Scharnier auf und beide starten den Deckel an. Aber mehr passierte nicht. Und so beugte er sich runter und zog am Deckel. Mit einem Knarzen ging er auf. Da lagen viele rote und goldene Tücher. Er schob sie vorsichtig auseinander und mitten drin, wie in einem Nest, lag eine kleine Spieluhr. Eine kleine Kirche stand in der Mitte darauf und drumherum lauter Engel mit Harfen und Trompeten in den Händen. Als er sie anhob, fing sie sich an zu drehen. Fast hätte er sie erschrocken fallen lassen – aber seine große Schwester griff zu und hielt jetzt fasziniert das kleine bunte Ding in den Händen. Erst ganz langsam, dann deutlich schneller drehte sich die Kirche mit den Engeln im Kreis und dazu erklang die schönste Spieluhrmelodie, die sie je gehört hatten. „Hört der Engel helle Lieder!“ rief er. „Das ist die Spieluhr unserer Uroma! Opa hat doch vorhin erzählt, dass er dieses Lied immer mit seiner Mama gesungen hatte.“  „Meinst du, er freut sich, wenn wir ihm die Uhr bringen?“  Wie der Wind sprangen sie auf und trugen ganz vorsichtig die Spieluhr die Treppe hinunter…..

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